Fussball Heimvorteil


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Der zwölfte Mann

Endlich bewiesen: Fußball-Schiedsrichter pfeifen ungerecht

Von Von Urs Willmann

Nicht alles, was man weiß, ist auch erforscht worden. Unbestreitbar gibt es den Heimvorteil im Fußball. Doch seit Jahren mühen sich Forscher damit ab, zu klären, wie es zu diesem Phänomen kommt. Es liege am Testosteron, behauptet zum Beispiel der britische Evolutionsbiologe Nick Neave. Er hat im Geifer von Heimspielern mehr davon gefunden als in der Spucke von Auswärtsspielern. Hormonell angestachelt, von auswärtigen Gruppen bedroht, sind Fussballspieler energiegeladener, aktiver, selbstsicherer – wie Tiere, die ihr Revier verteidigen.

Der Ausflug in die Menschheitsgeschichte liefert aber nur einen Teil der Wahrheit. Das jüngste, bislang wichtigste Puzzlestück zur Klärung steuert die Universität Innsbruck bei: Es liegt am Schiedsrichter. Endlich ist wissenschaftlich bewiesen worden, dass sich der Unparteiische auf die Seite der Heimmannschaft schlägt – wenn auch meist unbewusst. Die Ökonomen Matthias Sutter und Martin Kocher haben in einer minutiösen Nachbetrachtung der deutschen Bundesliga-Saison 2000/2001 ihr Augenmerk auf die Vergabe von Strafstößen und die Bemessung der Nachspielzeit gerichtet. Dabei stellte sich heraus: Liegen die Hausherren mit einem Tor zurück, lässt der Schiedsrichter im Durchschnitt 40 Sekunden länger nachspielen – verglichen mit jenen Fällen, in denen der Spielstand ausgeglichen ist oder die Heimmannschaft in Führung liegt.

Außerdem zeigte der Schiedsrichter häufiger auf den Elfmeterpunkt, wenn sich ein Spieler der Heimmannschaft im gegnerischen Strafraum nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ganz krass ist dieses Verhältnis in der zweiten Halbzeit: Dort kommen auf 38 Elfer für die Ortsansässigen bloß 10 für die Fremdlinge. Weitaus häufiger handeln sich zudem Auswärtsmannschaften Verwarnungen und Platzverweise ein: Ihre Akteure sehen die rote Karte in doppelt so vielen Fällen.

Allerdings liefern die Autoren, deren Artikel Ende dieses Jahres im Journal of Economic Psychology erscheinen wird, zu ihren Aussagen einige Einschränkungen. Heimmannschaften (Testosteron!) spielen meist angriffiger, tauchen folglich häufiger im gegnerischen Strafraum auf. Da sagt die Tatsache, dass sie mit Penaltys überhäuft werden, noch nichts über eine mögliche Diskriminierung der Gäste aus. Die Innsbrucker verlassen sich daher auf die Einschätzungen von Fachpersonal des Branchenblatts Kicker. Die Auswertung derer Expertisen ergab: Auswärtsmannschaften erhalten nur jeden zweiten (berechtigten) Strafstoß zugesprochen. Heimteams dagegen können bei einem eindeutigen Foul an ihrem Stürmer zu 81 Prozent davon ausgehen, den Strafstoß zu erhalten. Da diese in 85 Prozent der Fälle zum Tor führten, schreiben die Autoren, „stellt dieses ungleiche Verhältnis eine massive und ungerechtfertigte Bevorzugung der Heimmannschaften dar, die in vielen Fällen spielentscheidend ist“.

Doch im Prinzip ging es den Innsbrucker Forschern gar nicht um Fußball. Sie räumen zwar ein, „Fans der deutschen Bundesliga“ zu sein. Aber eigentlich wollten sie experimentalökonomisch untersuchen, was es „in vielen Bereichen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens“ gibt, nämlich: „Diskriminierung als systematische und ungerechtfertigte Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Personengruppen“. Allerdings hätte die Forschung in diesem wichtigen Betätigungsfeld „ein Problem mit der Datenerhebung“, sagt Sutter. Informationen über Kündigungen oder Beförderungen in Firmen werden in den seltensten Fällen öffentlich zugänglich gemacht.

Anders auf dem Rasen. Folgenschwere Entscheide werden dort „auf die Sekunde“ genau dokumentiert – was gut ist für die Wissenschaft. Fußballfan Sutter macht keinen Hehl aus seiner Freude, beim Untersuchen von „Bevorteilung durch einen Prinzipalagenten“ den idealen Gegenstand im Stadion geortet zu haben: „Als Prinzipal könnte man den DFB bezeichnen, und der Schiedsrichter leistet als ,Agent‘ die treuhänderische Arbeit auf dem Feld.“

Dabei wird der Agent nicht absichtlich zum Spielgestalter. Dass ein brüllendes Publikum Entscheide des Unparteiischen in Stresssituationen beeinflusst, ist (ebenfalls von Ökonomen) in der Disziplin Basketball belegt worden. Der Schiedsrichter versucht, der Meute zu gefallen. Bereits 1982 hat eine Gruppe um den Psychologen Thomas S. Wallston von der Universität Maryland belegt, dass Entscheide maßgeblich durch das auffälligste Indiz beeinflusst werden. Ein johlendes Publikum ist selten unauffällig.

Vielleicht aber führt die endlich wissenschaftlich belegte Erkenntnis zu Besserung. Als Fazit ihrer Arbeit fordern die Innsbrucker die Einführung des Videobeweises in spielentscheidenden Situationen. Die Diskriminierung von Mannschaften beim Verteilen von Strafstößen hat schon zu viele epochale Partien entschieden.

Wer nach den jüngsten Befunden verstärkt Zweifel an der Fairness im Sport hegt, findet in der Arbeit von Sutter und Kocher allerdings auch Trost. In der Bundesliga ist alles halb so schlimm. Unparteiische der spanischen Primera Division lassen eine zurückliegende Heimmannschaft im Durchschnitt dreimal so lange nachspielen wie deutsche Kollegen: volle zwei Minuten zusätzlicher Heimvorteil.

Pikanterweise haben sich die Innsbrucker Forscher aber ausgerechnet eine Saison ausgesucht, die in der Nachspielzeit entschieden worden ist. Im Jahr 2001 wäre beim Abpfiff nach 90 Minuten im 34. Spiel Schalke 04 Meister gewesen. Doch im Spiel des Hamburger Sportvereins gegen Bayern München ließ der Schiedsrichter drei Minuten nachspielen. Am Schluss hieß der Meister – natürlich – Bayern. Da in diesem Fall die Bayern auswärts antraten, ist dieses Spiel zwar kein Beleg für die Heimschiedsrichterthese. Aber vielleicht ist eine andere, nie ergründete Wahrheit endlich bewiesen: dass Schiedsrichter immer auf der Seite von Bayern München sind. Sutter winkt ab. Diese, angeblich vor allem in Journalistenkreisen weit verbreitete Ansicht haben die Ökonomen in ihrer Arbeit ebenfalls untersucht, dafür aber „keinen statistischen Beleg“ gefunden.

quelle: die zeit

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