Allgegenwärtiges Gestern


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Im ASB-Olymp

Tradition Kein Stadionvorplatz ohne Statuen historischer Spieler, kein Spiel des Nationalteams ohne Hinweis auf 1966, kein Transfer ohne Huldigung der größeren Vergangenheit des neunen Arbeitgebers. Robert Hummer wagt einen Blick auf Englands ambivalente Geschichtsbesessenheit.

Die Geschichte ist allgegenwärtig im englischen Spiel. Sie dient als Fangesang, Durchhalteparole, Rechtfertigungsgrund und Verkaufsschlager. Die Vergangenheit schafft Konstanten in einer sich rasch verändernden Welt. In den meisten Fällen dient sie freilich immer noch banaleren Zwecken.

Geisel History

Denn nicht selten fungiert die Vereinsgeschichte als populistische Rechtfertigung für Dinge, die ansonsten nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen werden. Das tägliche Lesen der Sportseiten erweckt den Anschein, dass Fußballspieler und –trainer in der Transferzeit zu Historikern mutieren. Harry Kewell zum Beispiel, der die große Tradition des Liverpool FC als Hauptgrund für seinen Wechsel aus Leeds angab. Auch für Alan Pardew war die Vergangenheit der ehemaligen Europacupsiegers West Ham United der Ausschlag gebende Grund dafür, als Trainer mit seinem Klub Reading vertragsbrüchig zu werden: „Der Geschichte und Tradition von West Ham konnte ich einfach nicht widerstehen“, sagte er hinterher. Auch wenn viele Fans solche hohlen Phrasen gerne für bare Münze nehmen würden, ist Geschichte in diesen Fällen nichts anderes als eine Metapher für mehr Geld und damit Garant eines besseren Salärs.

Auch die Klubs besinnen sich immer wieder gerne ihrer Vergangenheit, wenn es darum geht, zusätzliche Finanzen zu lukrieren. Everton FC beispielsweise feiert heuer sein 125-jähriges Jubiläum und kleidete dafür die gesamte Fassade von Goodison Park in den Schriftzug des Fangesangs „And if you know your history“. Ein vom Verein vertriebener Geschichtsband zeichnet zwar Evertons „offizielle“ Historie nach, findet jedoch nur geringes Interesse an den Anfangszeiten des Klubs an der Anfield Road, wo heute Lokalrivale Liverpool beheimatet ist. Klubgeschichte wird hier bewusst selektiv wahrgenommen, von Verantwortung und Respekt gegenüber der Vergangenheit fehlt jede Spur. Ähnlich bedenklich zeigt sich der Umgang von Ligakrösus Manchester United mit der eigenen Vereinshistorie. Bei den roten Teufeln werden sogar tödlich verunglückte Spieler zu Geld verbraten. Laut Uniteds Marketingchef macht nicht nur der Gewinn der Europapokals 1968, sondern genauso die Münchner Flugzeugkatastrophe von 1958 Manchester United so attraktiv für potente Werbepartner. Spätestens in diesem Zusammenhang wird die Geschichte zur Geisel der jeweiligen Interessen. Ob diese nun des eigene Gehalt oder steigende Dividenden sind, ist im Endeffekt sekundär.

Von Bobby Moore bis Tom Finney

So sehr Geschichte für schnelle Gewinne missbraucht werden kann, so wichtig ist sie für das langfristige Selbstverständnis der jeweiligen Klubs und Supporters. Gerade Traditionsvereine sind darauf angewiesen, sich auch als solche präsentieren zu können. Mit der Benennung von Tribünen und dem Aufstellen von Denkmälern für Spieler- und Trainergrößen konnte in den letzten Jahren eine sehr einprägsame Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart gebaut werden. In Wolverhampton erinnern Statuen von Billy Wright und Stan Cullis an die Meistertitel der längst vergangenen Fünfzigerjahre, in West Ham sitzt man im Bobby Moore Stand und denkt an das große Team der Sechzigerjahre und in Liverpool sieht man Bill Shankly in Gusseisen und versteht sofort, warum auf seinem Sockel eingraviert steht, dass er die Menschen glücklich machte.

Am weitesten fortgeschritten ist der Kult um ehemalige Vereinsangestellte in Preston. Im dortigen Deepdale-Stadion ergeben die Farben der Sitze einer Tribüne als Gesamtbild das Porträt von Tom Finney, der in den Fünfzigerjahren als einer der weltbesten Flügelstürmer Angebote italienischer Großklubs ausschlug, um seinem Preston North End FC auch in der zweiten Liga die Treue zu halten. Alles in allem führen Beispiele wie diese zu einer sichtbaren Historisierung des Stadionbesuchs in England. Geschichte funktioniert hier als Angebot von Stabilität an Menschen in einer sich wandelnden Welt. Wo die letzten Working Class-Communities endgültig auseinanderbrechen, sind die über ein Jahrhundert alten Fußballklubs letzte Brücken in ein nicht mehr greifbares Gestern.

Fluchtpunkt Geschichte

Gleichzeitig kann dieser Kult bei aktuellen Miseren auch als Fluchtpunkt dienen. So trist es für die Anhänger des zweifachen Europacupsiegers Nottingham Forest sein muss, zu Hause 1:1 gegen Watford zu spiele, so sehr erinnert der bloße Name Brian Clough Stands daran, dass es nicht immer so schlimm war. Je schneller die Schulden von Leeds United wachsen und je weiter der Klub sich dem Abstieg nähert, desto größer wird die ohnehin schon enorme Zahl jener Fans, die in baumwollenen Retro-Shirts der Siebzigerjahre ins Stadion gehen.

Es ist nicht zuletzt die sportliche Unfähigkeit des englischen Nationalteams bei Großereignissen, die jedem zweiten Inselbewohner bei der Zahl 1966 mehrer Schauer über den Rücken jagen lässt. „30 years of hurt“ sangen die Lightning Seeds und meinten 30 Jahre des Scheiterns. Zweifelsohne fanden die Bilder des tanzenden Nobby Stiles deswegen so leicht Eingang ins kollektive Bewusstsein der Nation, weil England nach dem Titelgewinn nicht einmal mehr ein Finale erreichen konnte. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich im Goodison Park, wo in der Halbzeitpause von Everton-Heimspielen Videos von Meistertiteln und Cupsiegen aus den Achtzigerjahren über die Großbildschirme flimmern. Die traurige Realität, dass die „Toffeemen“ seit den frühen Neunzigerjahren fast jede Saison gegen den Abstieg spielen, macht diese kleinen Ausflüchte mehr als nachvollziehbar.

Gerade in Fällen, wo die Fans die Gegenwart ohne das Wissen um eine bessere Vergangenheit nicht erträglich wäre, scheint die gute alte Zeit als Fluchtpunkt eine wichtige Funktion zu erfüllen. Die Schicksale Evertons und Nottinghams sind nur die Speerspitzen, die von den eigentlichen Tragödien wie Blackpool, Huddersfield Town, QPR und Sheffield Wednesday locker überholt werden. Spätestens im Fall von Notts County wird die Retrospektive zur Lebensnotwendigkeit, weil sich die Supporters das ältesten Fußballklubs der Welt ein jahrelanges Mauerblümchendasein in der dritten Liga sonst wohl kaum antun würden.

Geschichte als Zukunftsperspektive

Wohin führt nun die Verwertung von Geschichte? Wenngleich Manchester Uniteds Vermarktung der verunglückten Spieler und Everton nostalgische Halbzeitvideos auf verschiedenen Ebenen stehen, so nutzen beide Vereine nur ihre Vergangenheit. Es zeigt sich, sie vielschichtig die Materie ist. Geschichte ist ein wertfreier Begriff, der als solcher jederzeit instrumentalisiert werden kann.

In Anbetracht dieser Erkenntnis erscheint sie aber auch als effizientes Mittel, gegenwärtigen Tendenzen wie dem „Franchising“ entgegenzutreten. Die Vorstellung eines Fußballklubs, der im Stile nordamerikanischer Profivereine seine Herkunft wie einen Firmensitz wechseln kann, erhitzt die englischen Gemüter seit der Fußballverband dem Wimbledon FC einen solchen Umzug nach Milton Keynes genehmigt hat. Verzweifelte Fans gründeten darauf mit dem AFC Wimbledon ihren eigenen Verein, der sechs Ligen tiefer mehr Saisonkarten als der WFC absetzen konnte. Auch wenn die Supporters das Tauziehen um ihren eigentlichen Verein verloren haben, konnten sie mit ihren Kampagnen ganz Fußball-England auf ihre Seite bringen. Eines ihrer Hauptargumente gegen die „Entführung“ (The Observer) war, dass ein Fußballklub nicht 70 Meilen von seiner Geschichte und Community entfernt werden darf. Obwohl die Sturköpfe in der FA diese Logik nicht verstehen wollen, gibt die bisherige Entwicklung den abtrünnigen Dons-Fans Recht. Am 15. Oktober erklärten die Masseverwalter des mittlerweile insolventen „Franchise FC“ in Anbetracht des bescheidenen Interesses der Einwohner von Milton Keynes, dass sich bis Jahresende ein finanzkräftiger Investor finden müsse. Passiert dies nicht, wird der entwurzelte Klub endgültig verschwinden. In Anbetracht des voraussichtlichen Scheitern des Franchise-Experiments könnte sich Geschichte als mächtiges Gegenargument zu kommerziellen Interessen entpuppen.

Überleben mit Geschichte: Fünf schlafende Riesen

Was bewegt Menschen dazu, für Heimspiele mittelmäßiger Drittligisten gegen Peterborough United 25 Euro abzulegen? Erraten! - die Vergangenheit.

Blackpool

Obwohl „nur“ Vizemeister in den Fünfzigerjahren, fühlen sich die „Seasiders“ noch immer als was Besonderes. Der Grund dafür ist Sir Stanley Matthews, wahrscheinlich einer der besten Fußballer, die England jemals hervorgebracht hat. Noch immer träumen durchschnittlich 5700 Fans im eben errichtet „Stanley Matthews Stand“ von einer Wiederholung des Cupsieges von 1953, als die Legende im Alter von 38 endgültig in die Geschichte einging („Matthews Final“).

Huddersfield Town

Wenig zum Lachen haben die Supporters von Huddersfield Town, gegenwärtig ein Mittelständer in Englands vierter Liga. Die „Terriers“ waren der erste englische Profiklub, dem es gelang, die Meisterschaft dreimal in Folge zu gewinnen (1924-26). In Anbetracht der sportlichen Tristesse blieb dem Klub nicht anderes übrig, als „Those were the days“ zur offiziellen Vereinshymne zu machen. Diese wird von durchschnittlich 9500 Nostalgikern mitgesungen.

Notts County

Der älteste noch existierende Fußballklub der Welt kämpft mit Vehemenz gegen den endgültigen Bankrott. Nach nahezu zwei Jahren im finanziellen Ausgleich konnten die Masseverwalter noch immer keine neuen Besitzer finden. Die Auflösung ahnend, haben besorgte Fangruppen schon einen neuen Verein namens AFC Notts County im Amateurbereich gegründet. Der Untergang käme für sie einer Katastrophe gleich, waren doch die 1862 gegründeten Schwarz-Weißen Farbenspender für Renommierklubs wie Juventus Turin.

Queens Park Rangers

Jahrelang der bestplatzierte Londoner Erstligaklub, finden sich die Rangers heute in der dritten Liga wieder. Nach dem verlorenen Play-off-Finale in der letzten Saison spielen die „Hoops“ heuer wieder um den Titel mit – zur Freude der durchschnittlich 14000 an der Loftus Road. Ein Zuschauerandrang, der verdächtig an die Premier-League-Zeiten erinnert.

Sheffield Wednesday

Der vierfache Meister und dreifache FA-Cupsieger fristet en trauriges Dasein als Mittelständer in der Drittklassigkeit. Vor einem Jahrzehnt spielten die „Owls“ noch im Europacup – heute geht es viel mehr darum, den Schuldenberg von 38 Millionen Euro abzuarbeiten. Wenngleich die großen Zeiten eines Chris Waddle und David Hurst längst vorbei sind, so begleiten immer noch 4000 „Wednesdayites“ ihr Team nach London, um von QPR mit einer 3-0 Packung wieder nach Hause geschickt zu werden. Insgesamt tun sich durchschnittlich 22000 Besessene das gegenwärtige Gebolze in Hillsborogh an.

Quelle: Ballesterer FM, Nummer 11, Dezember 2003

In Nummer 10 waren übrigends 25 Seiten über den Millwall FC drinnen!

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White Nigger

ballesterer is ein fussball magazin aus wien (glaub ich, aufjedenfall is österreichisch und ziemlich gut!), kriegt man am favac platz, und gelegendlich auch woanders (va. öfters auch auf der hohen warte & am sportclub platz), kostet nur 2,5€ trotz a4 und ca. 70 seiten pro heft, und wie gesagt sehr guten qualität! (sowohl von papier/druck als auch von den artikeln)

bearbeitet von pepiporn

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Wir sind M&N. Gibt es sonst noch Fragen?
Frage! Woher hast dud en? Kann mit deiner Quellenangabe nicth recht viel anfangen!

Der Ballesterer ist eine sehr gute Fanzine, die vorallem auf Themen abseits des Medieninteresses eingeht.

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kriegt man das heft eigentlich auch im normalen zeitschriftenhandel (ev. morawa)? hab mir die letzten ausgaben immer im hanappi-stadion gekauft und es gefaellt mir sehr gut, aber durch die winterpause laufe ich gefahr, die aktuelle ausgabe zu verpassen...

edit: steht eh auf der homepage.

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bearbeitet von rigobert.song

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  • 2 weeks later...
Im ASB-Olymp

Also wie schon gesagt, in Heft 10 sind 25 Seiten über den Millwal FC drinnen! Echt zu empfehlen!

Noch was aus dem aktuellen:

Schattenseiten einer Rückkehr

19 Jahre waren die Wolverhampton Wanderers nicht mehr erstklassig. Doch auch Spiele in der zweiten, dritten und gar vierten Division an traurigen Orten wie Chesterfield, Rochdale und Scunthorpe konnten die Leidenschaft der Fans nicht zügeln. Als Anhänger das dreifachen Meisters und UEFA-Cup-Finalisten wussten sie genau, warum sie auf ihren Plätzen standen: Um ihre Wölfe wieder dorthin zu bringen, wohin sie gehörten. Mit dem ersehnten Aufstieg in der Saison 2002/03 ging ein Traum in Erfüllung. Gerade in der Stunde des Erfolges sollte sich allerdings herausstellen, wie schnell die Vereinsführung auf die jahrelange Loyalität der Fans vergaß. Noch im März hatte der Klub Saisonkarten für die nächste Spielzeit um 371 Euro unters Volk geworfen. Die sportlichen Zeichen standen zu diesem Zeitpunkt nicht gerade auf Aufstieg. Da dieser über das Play-off doch noch geschafft wurde, mussten die entgangenen Einnahmen ehest möglich kompensiert werden. Am besten bei den verbliebenen Abos: Die Dauerkarten kosteten von nun an 607 Euro, also um 63,6 Prozent mehr als nur wenige Monate zuvor. Fans, die ihr Abo nicht vorzeitig verlängert hatten, fühlten sich in die Enge getrieben. Leidtragende dieser Politik gibt es nicht wenige. Viele langjährige Dauerkartenbesitzer konnten sich die Erneuerung ihres Abos in der Premier League nicht mehr leisten. Unter ihnen ist auch ein Aktivist des seit 1989 existierenden Fanzines „A Load of Bull“. Dass er bei Wolves-Spielen neuerdings vor dem Fernseher Platz nehmen muss, tut weh, aber: „Versuch deiner Frau beizubringen, dass du dir als Arbeitsloser eine Saisonkarte kaufen willst und schau, welche Reaktion du darauf erhälst.“ Den Klubverantwortlichen scheint egal zu sein, dass die Fans mit ihren Abos dem Verein in den 80ern das Überleben gesichert haben. Anstatt ihnen entgegenzukommen, schaut sich der Klub aber lieber um neuen Kunden um. Dem alten Klientel bleibt nur mehr Zähneknirschen: „Ich kann nirgendwo anders hingehen. Entweder Wolves oder gar nichts!“ Seit dem Aufstieg in die Premier League gilt für finanzschwache Wolves-Fans meistens letzteres. Dabei wäre sie so schön gewesen, die Rückkehr.

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www.mspeu.at

Die Zeitung wurde auch schon öfters im Horr Stadion verkauft und ich glaub auch beim diesjährigen Stadthallenturnier.

bearbeitet von Gigi

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Dauer-ASB-Surfer

in einigen trafiken gibt es den ballestererfm auch.

zwei buchhandlungen in wien wüsst ich auch:

buchhandlung godai, mariahilfer str. 169 (15. bezirk!!!)

zentralbuchhandlung, hinter´m stephansdom

im übrigen sollten viel mehr leute das lesen.

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  • 2 weeks later...

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